Menu

Die Poetik der Wunde Autor: Nikša Eterović

 

Das Buch Die Poetik der Wunde beschaftigt sich mit der Analyse verschiedener Moglichkeiten

die die kunstlerische Therapie in Anpassungsprozessen all derer bietet,

die gezwunenermassen aus ihrem alltag gerissen wurden – Migranten, Fluchtlinge,

sowie, Personen, die sich aus verchiedenen anderen Grunden in einem “personlichen Exil” befinden.

Wie wirklich ist die Wirklichkeit? - Die Dramaturgie der Biografie Autor: Nikša Eterović

  1. Und später setzen wir uns hin, und verneinen das Ganze

 Ich war gerade im Begriff, eine Vorlesung an der Akademie der Darstellenden Künste[1] in Zagreb zu halten, als mein Freund Mladen schrieb, dass er nach Zagreb kommen würde, um meiner Vorlesung beizuwohnen. „Ich freue mich, dass Du kommst“, habe ich im per E-Mail geantwortet, und zitiere jetzt ein Bruchstück aus dieser E-Mail: „…und später setzen wir uns hin, und verneinen das Ganze“. Meinen Tippfehler hat er dann auch prompt in seiner Antwortmail verarbeitet:

„Jetzt bringst Du mich armen Kerl ins Grübeln. Handelt es sich bei deiner Aussage, als Du sagst ‘später setzten wir uns hin, und verneinen das Ganze’, bloß um einen Tippfehler, und wir werden uns später hinsetzen und das Ganze im Gespräch vereinen, bzw. vertiefen, oder meinst Du damit, dass Du nachträglich alles dementieren, bzw. leugnen wirst, was Du im offiziellen Teil behauptet und vorgetragen hast…“.

Ich fing mit der besagten Vorlesung an, indem ich laut über diese Bemerkung nachdachte. Die öffentliche Kommunikation, das erleben wir täglich, findet meist nach einer geheimnisvollen oder geheimen Logik statt. Oft wissen wir selbst nicht, ob die besagte Person an das glaubt, was sie verbreitet, oder lediglich etwas von sich gibt, womit sie sich privat nicht identifizieren kann. Sie macht sich gewissermaßen, eine öffentlich anerkannte Lüge, oder besser gesagt, eine Differenzierung vom Inhalt zum Zwecke, woran sich der Vorträger, Vorleser, Erzähler bedient. Obgleich ein derartiger Missbrauch der Kommunikation seinen Stellenwert  in der Vielfältigkeit der zwischemenschlichen Beziehungen hat, den Beziehungen zwischen dem Individuum und der Gesellschaft, der Gesellschaft und dem Staat soll dies nicht Hauptthema dieses Buches sein.

Ich würde gerne über die biografischen Elemente bei der Ausführung einer Tätigkeit schreiben, über die Entstehung der Biografie als Tatsache und als Methode, die in verschiedenen Situationen und Berufsfeldern gebraucht wird. Selbstverständlich ist es dabei unmöglich die Tugenden des Öffentlichen und die Laster des Geheimen, den zwei Seiten einer Medaille, jeder Aussage, jeder Handlung, nicht zu berühren.

Alles, was auf den folgenden Seiten zu lesen ist, beruht unmittelbar auf meinen eigenen Arbeitserfahrungen in unterschiedlichen Feldern und auf Begegnungen mit diversen Menschen. Die Gliederung dieses Buches basiert auf der Gliederung der bereits erwähnten und am 2. Dezember 2014 abgehaltenen Vorlesung an der Akademie der Darstellenden Künste in Zagreb, mit der meine Rückkehr nach Kroatien, nach 27-jähriger Abwesenheit, begonnen hat.

Ich habe den Beschluss gefasst, das Schreiben so zu gestalten, dass ich die Themen der Biografie einfach als Tatsachen und Methoden bei der Gestaltung einer Aufführung im Leben und im Theater aneinanderreihe.

Das Leben ist oftmals theatralischer als das Theater und das Theater lebensnaher als das Leben. Das eine funktioniert nicht ohne das andere. Deshalb werde ich versuchen über einige Verbindungspunkte der Biografien realer und erfundener Personen zu schreiben. Die Forschungen werde ich dazu nutzen eigene Rollen zu finden. Ich würde gerne die Reflexionen zerbrochener Spiegel anderer in mir selbst zusammenfügen, ein Selbstporträt im Porträt anfertigen, so wie es sich mir während des Schreibvorgangs aufdrängt, sich verschiedener Techniken bedienend, und ohne dabei auf die Einheit des Stils achten zu müssen. Mich interessiert die organische Ganzheit der zerrissenen Persönlichkeit, und zugleich die organische Zerrissenheit der vollständigen Persönlichkeit. Ferner habe ich die Gestalt WissensDurst(ig) Durstig Wissen(d) (Znati Željan Željan Znati)[2], wie man es nimmt, erschaffen. Sie führt uns durch die Sphären ihrer – meiner Neugier. Das sind Bereiche, durch die wir unsicher, mit weit geöffneten Augen und mit großer Vorsicht getappt sind.

Am Ende der meisten Kapitel stelle ich eine Reihe von Fragen. Ich bin überzeugt davon, dass sich die wahren Antworten immer in neuen Fragen widerspiegeln. Ich habe mich für 21 Fragen entschieden, obwohl die Reihe um einiges länger sein könnte. Deshalb fordere ich den Leser auf, diese Fragefolge zu ergänzen und den Dialog mittels Fragen weiterzuführen. Dieses Buch ist zudem im Dialog mit seiner ersten Leserin entstanden, mit Dijana Mateša, Professorin der Anglistik und der italienischen Sprache und Literaturwissenschaften, die in Koprivnica lebt und arbeitet.

Die bereits geschriebenen Kapitel habe ich ihr, nach einem im Voraus bestimmten System, zum Lesen geschickt, und sie hat mir diese, mitsamt ihren Bemerkungen zurückgeschickt.

Die Rezensionen von Professorin Mateša haben mir geholfen einige Details noch einmal zu überdenken und den Text zu überarbeiten, dafür bin ich ihr sehr dankbar.

  1. Kann ein Buch eigentlich ohne einen Dialog entstehen?
  2. Gibt es überhaupt eine Aktivität, die sich ohne die Erfahrung eines Dialogs selbstbewusst abwickeln lässt?
  3. Ist die Zerrissenheit nicht genau genommen eine Art, die Ganzheit zu erleben?
  4. Unterscheidet sich die Person von der Persönlichkeit?
  5. Wie viel unseres Selbst befindet sich in unserer Handlungsweise?
  6. Was ist das Andere, wer ist dieser Andere, der sich in unser Handeln einmischt?
  7. Wann entspricht eine Biografie den Tatsachen?
  8. Wird die Biografie dank der biografischen Methode als Tatsache bestätigt?
  9. Wie beeinflusst die Sensibilisierung eines erlebten Momentes eine Biografie im Entstehen?
  10. Macht die Summe der bewussten und unbewussten Situationen faktisch unsere Biografie aus?
  11. Kann man auf den Verlauf der Ereignisse im eigenen Leben Einfluss nehmen?
  12. Wie beeinflusst das erlebte Bewusstsein die gelebte Spontanität?
  13. Kann die Spontanität im Moment der Realisation ins Bewusstsein gerufen werden?
  14. Streben wir eher nach Spontanität oder nach Besinnung?
  15. Gibt es Spontanität überhaupt?
  16. Ist die sogenannte Spontanität in Wirklichkeit die Besinnungslosigkeit?
  1. In welcher Beziehung stehen Instinkt und Spontanität?
  1. Ist die Selbsterhaltung nicht das, was uns der Tierwelt näher bringt?
  1. Sind die Tiere, die Pflanzen und Naturereignisse nicht ein Teil unserer Selbst?
  1. Gibt es eine spontane Besinnung?
  1. Wie entsteht die bewusste Spontanität?

[1] Im Original: „Akademija dramskih umjetnosti“ – Akademische Schule für Schauspiel, Regie, Film und Theater

[2] „Znati“ bedeutet kroat. wissen, „znatiželjan“ hingegen bedeutet wissensdurstig, neugierig; „željan“ heiβt einerseits begierig, lüstern, oder als zweite Bedeutung weist es auf einen männlichen Eigennamen, in diesem Fall mit Groβbuchstaben geschrieben (Bem. d. Übersetzerin)