10. Verflechtung der realen und fiktiven Biografie auf der Bühne
I.
Im Studienjahr 2005/2006 habe ich als Examensarbeit bei meinen Schauspielstudenten eine “Play Ionesco” Inszenierung gewählt. Dafür haben wir verschiedene Teile und Szenen aus seinen einzelnen Stücken ausgesucht und seine Figuren, mit prägnanten Aussagen in neu konstruierten Situationen, als auch Szenen, die an für sich nicht zusammengehören bzw. verschiedenen Werken gehören, aneinandergereiht. Durch die Negierung Ionescos Komposition jedes einzelnen Stückes habe ich meine eigene Auffassung von Ionescos Welt auf engstem Raum erhalten. Eine derart aufgeteilte Vorlage habe ich dem Publikum direkt zu Füßen gelegt. Das Publikum saß im Halbkreis, alle in einer Reihe, als würden sie Ionescos Welt einrahmen; die Mauern dieser Welt hat Julia Soubbotina in schweißgebadete Tapeten, die sich von den Wänden lösten, eingekleidet, wobei die notwendigsten Requisiten und Kostüme farblos, bzw. weiß blieben. Der Spielrhythmus mit Pausen zwischen den Sätzen, die durch Klingeltöne angekündigt wurden, sowie schnell gesprochenen Textsequenzen, die förmlich in den Raum platzten, einer Kombination von natürlichen und stilisierten Bewegungen, hat eine Welt offenbart, in der scharfer Humor auf das Wesentliche deutet, was im Erscheinungsbild anders vorgestellt werden möchte. Vielleicht ist diese Absurdität, diese Spannung zwischen dem Erscheinungsbild und der Essenz, vielleicht ist diese Spaltung das, was Ionesco als erlebtes Gefühl empfand. Seine Wahrheit über unsere Umwelt und unser Handeln wird als Theater des Absurden bezeichnet. Ungeachtet von der Gebräuchlichkeit dieser Bezeichnung, glaube ich nicht, dass sie wirklich treffend ist.
Ende der siebziger Jahre habe ich Eugène Ionesco in Neusatz (Novi Sad) kennengelernt und kurz mit ihm gesprochen. Ich kann mich immer noch sehr gut an seinen ruhigen, neugierigen und direkten Blick erinnern. Ich war zu jung, um bei dieser Begegnung die Barriere des Kennenlernens zu überschreiten und mit Mut einen Dialog über sein Stück anzufangen, da er ein Autor ist, den ich sozusagen fühle. Etwas fühlen, ist nicht gleichzustellen mit etwas verstehen, jedoch ist es eine Voraussetzung für das Verstehen.
Zu Beginn meines Aufenthalts in Westberlin waren die Wände meiner Wohnung mit deutschen Wörtern beklebt, bzw. mit Seiten aus dem deutsch-kroatischen Wörterbuch, damit ich diese Sprache so schnell wie möglich lernen konnte. Diese verschwitzen Wände konfrontierten mich täglich mit dem, was ich verstehen wollte, ohne dabei die zusammengeklappte Bedeutung der gelesenen Sätze zu vergessen; die Sammlung der neuen Wörter starrte mich täglich von den Wänden an. Das Erlernen der deutschen Sprache fühlte sich für mich an, wie eine Absonderung der Tapeten von den Wänden. Ich dachte mir, wie lange kann es dauern, bis man dieses „Kauderwelsch“ zerkaut hat?
Ionesco hat „Die kahle Sängerin” in der Zeit geschrieben, als er gerade englisch lernte. Seine Erfahrung spiegelt sich auch im Text wieder, so hat er auch Teile von Dialogen aus dem Lernstoff für Ausländer in seinem Stück verarbeitet. Die Uraufführung fand am 11. Mai 1950 im „Théâtre des Noctambules“ in Paris statt, unter der Regie von Nicolas Bataille.
Es erscheinen zwei Paare: Mr. und Mrs. Smith und Mr. und Mrs. Martin, die typisch englische Nachnamen tragen.
In Kroatischlehrbüchern kommen so Herr und Frau Horvat vor, bei Deutschlehrbüchern sind es die Müllers und Schmitts, usw.
Verbergen unsere Nachnamen eine Stammeseigenheit in sich?
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