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Etwas Fremdes in mir – Tryptichon – III s. 83-85

Die Neugier müsste gefördert werden. Das Wichtigste ist, Kinder zu beobachten, offenherzig, unvoreingenommen, sie mit Interesse bei allem beobachten was sie tun; ihnen richtig zuhören. Bei einem solchen Ansatz entwickeln sich die Anerkennung und das Vertrauen dem Kind gegenüber automatisch, was eine grundlegende Voraussetzung für jeglichen Dialog darstellt.

Wenn ihr Kind etwas anstellt, was ihnen nicht gefällt, dann sollten Sie, anstatt einer drohenden Reaktion oder eines kreischenden: Warum hast du das gemacht?, lieber das Getane annehmen und versuchen durch Zuhören oder auf spielerische Art zu begreifen, warum es diese Schelmerei angestellt hat, um so eine Konsequenz daraus zu ziehen.

In der wohlhabenden Gesellschaft beobachte ich Kinder, die zu „früh gealtert“ sind, und frage mich, warum das so ist. Sie werden von ihren Eltern in den Kindergarten und in die Schule gefahren, essen nach Wunsch, sind maßgeschneidert angezogen, meistens nach den neusten Trends; sie spielen mit Spielzeugen aus dem Schaufenster, fahren in die Winter- und Sommerferien und haben alles was sie brauchen, und weit mehr, als sie wirklich brauchen.

Ich glaube, wenn Kinder von klein auf die Möglichkeit hätten, sich das zu besorgen, was sie wirklich brauchen, anstatt Geschenke der Erwachsenen anzunehmen, wäre die Welt viel reiner, interessanter und kunterbunt.

Wir maßen uns sogar an, Kindern beizubringen, was sie sich zu wünschen haben – ein völlig nutzloses Unterfangen, jedoch steht es im Einklang mit den gesellschaftlichen Normen, den Dogmen und den Traditionen. Kinder schöpfen viel mehr aus dem Instinkt, der Intuition, der Stärke der Fantasie und der Kreation, als Erwachsene. Jedoch wird das schon in jungen Jahren, zu Hause und im gesellschaftlichen System zerstört, um dann verschiedene Programme zu erfinden, um den zu „früh gealterten“ Kindern wieder zu ihrer kindgerechten Unschuldigkeit zu verhelfen, bzw. sie wieder an ihr „natürliches“ Potenzial anzunähern. Die Fürsorge der Erwachsenen erweist sich wieder einmal als problematisch. Es ist aber möglich, anders vorzugehen! Gibt es überhaupt Interesse dafür, sowohl in der Familie als auch in der Gesellschaft? Wie kann der Mensch verantwortlich sich selbst und der Gesellschaft gegenüber leben, ohne dabei sich selbst zu vergessen bzw. sich selbst treu zu bleiben?

Wo sind diese friedlichen und bedachten Eltern? Wo sind diese Eltern, die ihre Kinder täglich beobachten, gelassen und mit Geduld? Wo sind diese Eltern, die die Idee ihres Kindes annehmen und sich gemeinsam mit dem Kind daran spielerisch erfreuen?

In Meetings, im Stress, bei der Arbeit? Wozu das Ganze? Um Unnötiges anzuhäufen? Für den gesellschaftlichen Status? Damit die Kinder schneller altern können? Damit die Kinder den schnellsten Weg zu viel Geld finden? Um die Zeit totzuschlagen? Damit sie sich mit Einsamkeit füttern können? Damit sie selbst in dieser desillusionierten Welt der Erwachsenen auf schnellstem Wege die Sehnsucht nach dem Mond zu greifen verlieren?

Augusto Boal (1931 – 2009) war ein eminent berühmter brasilianischer Regisseur, Theaterautor und Theatertheoretiker. Er war der Entwickler der Theaterformen „Theater der Unterdrückten“, „Forumtheater“ und „Unsichtbares Theater“. Er hat uns eine Sammlung an verschiedenen Möglichkeiten in der Theaterarbeit mit Menschen angeboten, in den verschiedensten Lebens- und Gesellschaftsumständen, auf der Suche nach dem Essenziellen und dem Naturverbundenen. Sein Handeln mithilfe der Methode des Forumtheaters bei der Lösung von Konflikten zwischen verschiedenen Gruppen, Nationen und Religionen, empfinde ich als einen brillanten Impfstoff gegen, z.B. verbale, wirtschaftliche, ideologische oder Kriegskonflikte.

Ich habe einen Blick auf seine Youtube Videos über einen Teil seiner reichhaltigen Arbeit geworfen, und habe mir vor allem seine Arbeit mit jungen Leuten, zum Thema – Beziehungen in der Familie – angeschaut. Der Boal Workshop – Parents Weekend aus 2008 zeigt ganz deutlich, wie feinfühlig und präzise die Beziehungen in der Familie aus der Sicht der jungen Leute thematisiert wurden. Ein besonderes Augenmerk wurde auf den Teil gelegt, der sich mit dem direkten Einfluss der Familie auf die Uniformiertheit beschäftigt; dabei haben sie gesungen, und zwar mit Augen unter Masken gehüllt, ganz artig.

Nennen wir doch zuerst einmal die beiden, die uns vermengt haben, die wir brauchen. Zumindest in der frühesten Kindheit folgen wir ihnen und hören auf sie: Mama und Papa, unsere Eltern.

Wo Eltern sind, da sind auch Kinder. Dort wird das Leben trainiert, von Anfang an.

Unser Aufwachsen und das Altern beginnen mit der Befruchtung, dafür sind unsere Eltern zuständig. Sie sind ebenso für den ersten Schritt in der Gestaltung unserer eigenen Identität zuständig, und zwar durch die Namensgebung. Aus dem einen oder anderen Grund, der von anderen als wichtig empfunden wurde, heißen wir nun so, wie man uns nannte. In der Jugendzeit kommt es oft zu Abweichungen von dieser Vorgabe, durch Spitznamen, die uns jemand aus unserer Umgebung gibt, bis wir uns mit dem Namen in unserer Geburtsurkunde abgefunden oder uns vollends von ihm abgezweigt haben.

Bereits Sokrates beschäftigte sich mit dem Phänomen der Namensgebung und den Bezeichnungen. In Platons, in Dialogform verfasstem Werk „Kratylos“, wird über die verschiedenen Bezeichnungen von Gegenständen, die der Natur zugeordnet werden, diskurriert. Um Kratylos Meinung aufzunehmen, dass alles nach etwas aus der Natur benannt werden oder seiner Natur entsprechend genannt werden müsste, wenn man so will, und nicht nach der Willkür, bzw. als Folge einer Absprache, so bringt Sokrates seine philosophischen Gesprächspartner dazu, dieses zu untersuchen und zu hinterfragen. Nach einer lebendigen und tiefgründigen Diskussion einigen sich Hermogenes, Kratylos und Sokrates über die Problematik dieser These bzw. den ausschließlichen Bezug auf den Namen, da die Wahrheit nicht nur anhand des Namens festgestellt werden kann. Dieses Gefühl, das wir sicherlich alle schon einmal erlebt haben, dass uns Wörter aus dem Mund entgleiten beim Ausruf des Namens unseres eigenen Kindes – das hat schon seine spezifische Dynamik.

Das zweite Stück infolge meines James Joyce Zyklus habe ich “Lucia Joyce – la macchina della famiglia“ genannt. Die Familie Joyce, bestehend aus: Mama Nora, Papa James, Tochter Lucia und Sohn Giorgio.

Wenn man bei der Kreation eines Stücks mithilfe der biografischen Methode die Herkunft des eigenen Namens erörtert, dann kann es passieren, dass die Person sich entspannt und anfängt mit ihrem Namen und auch den Erlebnissen aus dem eigenen Leben, zu spielen. Dort, wo das Spiel die Oberhand gewinnt, wird die Erkenntnis geboren und die Freiheit übernimmt die Herrschaft. Die Verantwortung, die aus dem eigenen Erlebnis der Freiheit entsteht, lässt uns vor Freude strahlen und uns selbstbewusster und entschlossener in Situationen sein, die wir für uns selbst auswählen, oder die uns auswählen.

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