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WissensDurst s. 76-78

„Zdenko Jelčić (geb. 1946) ist einer der legendären Bösewichte im kroatischen und schweizerischen Film, Fernsehen und Theater. Er spielt die Rolle seines Lebens, seine Abschiedsrolle, und zwar nicht nur, weil seine Stimme angeschlagen ist von seiner Kehlkopfkrebserkrankung, was gleichzeitig Thema der Aufführung ist, in der er sich völlig offenbart, vom Gelächter bis hin zum Grusel; dabei tröpfelt aus dem Publikum lediglich ein langwieriger, langweiliger kleiner Applaus, als würde es nicht genügen, dass der Schauspieler wahrhaftig die Rolle des Lear nicht mehr in seiner vollen Länge spielen könnte, nein, er müsste das ganze wohl noch verheimlichen, da seine Krankheit ja schon ganze sechs Jahre nicht zurückgekehrt ist“ lese ich in der Zeitung ‚Jutarnji list‘, als ich Anfang Dezember 2014 nach Zagreb fliege, um eine Vorlesung über die Biografie als Fakt und Methode bei der Erschaffung eines Stücks, zu halten.

„Die Vorstellung enthüllt, dass sie ihm den Kehlkopf nicht entfernt haben, da sich beim schweizer Konsil eine der besten Onkologinnen für ihn eingesetzt und ihn für eine spezielle Chemotherapie vorgeschlagen hat. Sie hat ihn beim Züricher Schauspielhaus gesehen und empfahl ihn als sagenhaften Schauspieler.“- und schreibt weiter – „Der Schauspieler zeigt sich auf der Bühne zuerst als „Zivilist“ (…), er fängt wahrlich als „Privatperson“ an, vor der „Schauspielerei“; er versucht die Hostess davon zu überzeugen, und so fängt er in ihrer Gegenwart mit dem Schauspiel an, aber immer noch als „Probe“. Anschließend wird er Regisseur. Daraufhin wird er Schauspieler, der einen Regisseur spielt,“ beschreibt der Textautor des Monodramas, „erst danach entspringt er als Subjekt der eigenen Bearbeitung von Bernhards Fresken, die er für den berühmten deutschen Schauspieler Bernhard Minetti (1905 – 1998) geschrieben hat, über einen betagten Schauspieler, der an Silvester in einem luxuriösen Hotel auf einen renommierten Theaterleiter wartet, welcher ihn nach dreißig Jahren für die Rolle des Lear engagieren soll. Dieser Direktor kommt aber nie, so wie Jelčić, auch niemals zu seiner Rolle kommen wird. Davon handelt das Stück.“

 

7.

 

 

Etwas Fremdes in mir

 

  • Tryptichon –

 

                 III

 

 

Jedes Theaterstück, sowie jede künstlerische Realisation, ist das Werk seines Autors. Schon die Wahl der Theatervorlage für die Bühnenrealisation sagt einiges über den Autor aus. Wenn die Theatermacher sich selbst, bewusst zum Hauptmotiv der Handlung machen, so wie in den aufgeführten Beispielen, würde ich sagen, dass es ans Eingemachte geht. Es geht um die Einzigartigkeit des Individuums. Das birgt Gefahren für die Annahme des Stücks, denn viele scheuen sich vor der Konfrontation mit dem Leben des Autors. Sie wollen nichts von seinen Ängsten, von seiner Krankheit, von seinen alltäglichen Problemen wissen. Wenn man ein Theaterstück mittels der biografischen Methode erschafft, dann verhilft es dem Autor zur Möglichkeit der Reflexion, zur Spannung der Konfrontation und dem erneuten Durchleben einiger prägnanter, verwirrender Momente aus dem eigenen Leben. Oft fühlt man sich dann erleichtert und befreit und offen für neue Erlebnisse, frei nach dem Spruch: Nur wer sein Gestern und Heute akzeptiert, kann sein Morgen frei gestalten.

Nachdem das Publikum seine Neugier gestillt und erfahren hat, was sich beim Autor hinter verschlossenen Türen abspielt, tut es sich manchmal schwer mit der Desillusion und der Erkenntnis, dass der Autor ebenfalls nur ein Mensch ist, mit allen Höhen und Tiefen, die wir oft nur dem Normalbürger zuschreiben. Andererseits sind die künstlerischen Ergebnisse großer Bewusstseinsbildung über die persönlichen Prozesse, mitunter eine Chance für den Zuschauer, die Komplexität der Lebenssituationen dadurch auch bei sich besser zu lösen.

Christoph Schlingensiefs Direktheit verwirrt, bestürzt und erschreckt die Meisten. Die Trilogie der Stücke, mit der er die Entwicklung seiner Krankheit verfolgt und den Dialog mit dem gewissen Fremden in sich sucht, saugt uns während der Inszenierung praktisch auf und verwandelt uns einerseits in einen Teil dieser Wut, dieser Sehnsucht und dieses Kampfs für die Genesung. Andererseits erleuchtet sie uns und bringt eine besondere Art der expressiven Aufmerksamkeit mit sich. Erst nachdem wir uns von dem unmittelbaren Erlebnis des Stücks abgewendet haben, können wir es erfassen und es uns ins Bewusstsein rufen.

„Ich schaue aus dem Fenster und staune, als hätte ich noch nie Sonne und Wolken gesehen.“[1] So schreibt er in seinem Tagebuch, das er als Buch klarer Erkenntnis und mit dem direkten Titel „So schön kanns im Himmel gar nicht sein!“ veröffentlicht hat.

Ich empfinde dieses Stück als die Ästhetisierung der Wunde par excellence, sowie ein großer Teil von Ujevićs Versen eine Poetisierung der Wunde darstellt, oder Kiš‘ „Enzyklopädie der Toten“ die Rekonstruktion der verwundbaren Vergänglichkeit. Sowohl Kiš als auch Ujević sind ihrem Krebsleiden erlegen, dieser Bösartigkeit des fremden Zerstörers in ihnen.

1989, ganz am Anfang meines Aufenthalts in Berlin, habe ich die Dramaturgie und die Inszenierung dieser dramatisch versöhnlichen Geschichte der „Enzyklopädie der Toten“ als Monodrama regiert. Damals hatte ich noch nicht den Reichtum an Erfahrung, den ich heute habe, daher war das Stück schulisch korrekt abgearbeitet und leicht verständlich. Ich kann mich daran erinnern, dass ich die Entwicklung der Metastasen mit Hilfe von Licht und der Projektion durch die Bewegung des Zeigefingers am Diaprojektor gelöst habe; eine einfache technische Lösung, mit der sich, anstatt angehaltene Momente des vollen Lebens zu zeigen, die lebende Masse der Krebszellen ausbreitete.

Bei der Konfrontation mit der Krankheit und dem nahen Tod kommt der Mensch immer zu neuen Erkenntnissen und findet überraschende Lösungen für die neu entstandene Situation. Es ist beinahe, als könnte man die Essenz des eigenen Lebens spüren. Der mögliche Tod erleuchtet unser Leben, wie eine Nachtlampe, die uns an unserem Bett in den Schlaf begleitet.

 

WissensDurst hat einige Tage eine zweiundvierzigjährige junge Frau versorgt und über vieles mit ihr geredet. Er hat ihr langsam und mit viel Geduld zugehört, da ihr Sprachvermögen schon reichlich gelitten hat. Die Metastasen, die vom Kopf zur Wirbelsäule führen, zerstören sie allmählich, schon seit drei Jahren, wie einen jungen Baum, der von einer Insektenplage befallen wurde. Die Motivation zu leben schöpft sie täglich aus der Tatsache, dass ihre Mutter noch am Leben ist. Die Greisin hat im Februar 2014 ihren 100. Geburtstag gefeiert und sie kann sich nicht vorstellen, vor ihrer Mutter zu sterben, die von der Trauer übermannt an ihrem Grab stehen müsste. Es war das erste Mal, dass sie wegen ihrer Erschöpfung nicht zu ihrem Geburtstag kommen konnte. Deswegen musste sie ihr den Grund für ihre Abwesenheit nennen.

Nachdem sie ihr erzählt hatte, um was es sich handelte, überkam sie ein starkes Gefühl am Ende des Telefonats und sie sagte entschlossen: „Mama, ich komme, sobald ich mich etwas erholt habe.“ Sie hat ihr Versprechen gehalten.

Fast ein halbes Jahr später hat man sie, auf eigenen Wunsch, ungeachtet der ärztlichen Besorgnis wegen der Reisestrapazen, zu ihrer Mutter gebracht.

Die wenigen Tage mit ihrer Mutter, Bett an Bett im Seniorenheim, wo ihre Mutter lebte, dieses Etwas zwischen Tochter und Mutter, haben ihr die Kraft und Entschlossenheit gegeben, bis zum Tod ihrer Mutter um ihr Leben zu kämpfen, damit sie und ihre Schwester sie mit Dankbarkeit und Liebe ans Grab begleiten können. Danach kann sie dann auch selber sterben. „So bleibt die Reihenfolge der Geburt und des Todes, des Kommens und Gehens, so wie es glücklichen Menschen entspricht, erhalten“, sagte sie.

 

[1] C.S., So schön wir hier kanns im Himmel gar nicht sein!

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