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Etwas Fremdes in mir – Tryptichon – III s. 95-96

„Ricardo Reis wurde 1887 in Porto geboren (ich erinnere mich nicht an Monat und Tag, aber irgendwo habe ich die Daten); er ist Arzt und gegenwärtig in Brasilien.“, schreibt Pessoa.[1]

„Alberto Caeiro wurde 1889 geboren und starb 1915 an Tuberkulose; er kam in Lissabon zur Welt, lebte aber fast sein ganzes Leben auf dem Land, in der Region Ribatejo, hauptsächlich arbeitslos und fast ohne Bildung.“[2]

Handelt es sich um innere Stimmen, die zum Autor sprechen oder um Figuren, die er selbst erfunden hat? Die gesammelten Werke Pessoas und seiner „Dioskuren“ habe ich, von Inés Koebl und Georg Rudolf Lind aus dem Portugiesischen übersetzt, gelesen; ebenso Caeiros „Poesie“.

Das Vorwort zu diesem Buch wurde von Ricardo Reis geschrieben, also einem seiner Homonyme. Caeira hat seine Poesie dem Dichter José Joaquim Cesário Verde (1855 – 1886) gewidmet, den Pessoa sehr schätzte.

Schon dieses literarische Netzwerk, diese Verflochtenheit und Verbindung mehrerer Dichter verraten etwas über die Mehrstimmigkeit im Inneren des Autors.

Ricardo Reis behauptet, es gäbe nichts über das Leben des Autors Alberto Caeira zu sagen, da seine Gedichte sein Leben sind. Caeiro hat, indem er die Welt um sich herum beobachtete, ein stilles, aber tiefgründiges Werk des Fortschritts, der inneren Evolution des Denkens, erstellt.

 

Über Álvaro de Campos schreibt er, dass er in Tavira geboren wurde, am 15. Oktober 1890, um 1:30 Uhr nachmittags.

All diese Informationen beruhen auf den Erscheinungen der Psyche des Autors, an die er geglaubt hat und die ihn in Anspruch genommen haben. In seinem Inneren kam es zu Zusammenstössen, und zu etwaigen Neurosen, zumal ihn diese Erscheinungen gleichzeitig beruhigten, ihn wohlwollend führten und/oder ihm maßgeblich Befehle erteilten.

Das „Livro do Desassossego“ (Das Buch der Unruhe) schrieb der Hilfsbuchhalter Bernardo Soares.

Es ist ein üppiges Buch, ein Tagebuch mit aufgeschriebenen Gedanken und Ereignissen, aufgelistet nach Tagen und Nummern, eine „Autobiografie ohne Ereignisse“ – steht es im Untertitel. Tage wie Gedanken, Gedanken wie Unruhen, Unruhen in 481 Texten, der unruhige Gedanke, Unruhe und Denken. Nur wenige Texte datieren aus dem Jahr 1930, und zwar der erste vom 9. März 1930, wobei die übrigen Texte mit Nummern gekennzeichnet sind.

„Vorausgesetzt wir nehmen nichts anderes als ernst und betrachten nur unsere Empfindungen als die einzige unwiderlegbare Wahrheit, finden wir in ihnen Zuflucht und erforschen sie wie große unbekannte Länder.“[3] Dieses Buch ist wahrlich eine Autobiografie der Gefühle bzw. der aus Gefühlen entstandenen Gedanken, dem Gefühl der Gedanken.

 

Wenn man nicht wüsste, dass all das Fernando Pessoa geschrieben hat, dann könnte man denken, dass es sich um verschiedene Dichter handelt, da die Poesie unter den verschiedenen Namen derart verschieden ist. Angefangen vom Schreibstil, über die Themenwahl, bis hin zum Gefühl, das dem Geschriebenen zugrunde liegt.

Die Heteronyme dieses Dichters entwickeln ein Eigenleben und bauen sich ihre eigene Existenz auf. Sie leben in ihm, wobei man ihren Lebenslauf in ihren Niederschriften lesen kann. Das Buch ist ihre Verkörperung; beim Schreiben kommt ihr Ausdruck zum Leben und ihre Gestalt zur Realisation.

 

 

 

 

3.

 

Schizophrenie ist eine psychische Krankheit. Die betroffene Person kann wirkliche, reale und unrealistische, fiktive Erlebnisse und Erfahrungen nicht auseinanderhalten. Die Krankheit verhindert das logische Denken, normale Gefühlserlebnisse anderen Personen gegenüber und stört ihr Sozialverhalten. Bei schizophrenen Störungen sind bestimmte Funktionen des Gehirns beeinträchtigt, infolgedessen treten Symptome, wie Denkstörungen, Wahrnehmungsstörungen und Affektivstörungen, allgemein also Veränderungen der Psyche auf.

Die Krankheit kann sich in vielen Variationen zeigen, mit ganz verschiedenen Anzeichen und Symptomen. Bei einigen Personen können die Symptome gravierend sein, dahingegen sind sie bei anderen kaum bemerkbar oder werden überhaupt nicht manifestiert. Es kommt nur ein vages Gefühl auf, dass „etwas nicht in Ordnung ist“, dass „etwas anders ist.“.

Personen, die an Schizophrenie leiden, haben oft Angstzustände und das Gefühl, dass sie überfordert werden. Sie leiden häufig an Persönlichkeitsverslust, an der Störung der Ichfunktion, am Identitätsverlust. Eine solche Person kann oft die Grenzen zwischen sich und der Umwelt nicht erkennen. Weiterhin glaubt die erkrankte Person, dass andere die Macht ergriffen haben, weil sie sich nicht schützen und keine Grenzen setzen kann.

WissensDurst bewacht eine Patientin, die sich in der Psychiatrieabteilung im Delirium befindet, und mit weißen Stoffbinden an Händen und Füßen gefesselt ist. Er muss in jedem Moment darauf gefasst sein ihr zu Hilfe zu eilen, falls sie aufhört zu atmen oder ihr Bewusstsein verliert. Währendessen schreibt er Fragmente ihrer Sprechekstase auf, der mit Geschrei und Geheule ausgespuckten Wortfetzen, ihre konstanten Wiederholungen von Worten und Satzkonstruktionen; in einer Länge von fast zwei Stunden, ohne Pause. Wie viel Kraft muss man aufbringen, um all das auszusprechen? Gewaltige Dämonen des Seelengeschreis.

 „…ich warne sie machen sie den knopf auf ich ruf‘ die polizei schwarzarbeit du pole du mensch beeil‘ dich und mach‘ den knopf auf machen sie das sie sind elfriedes vater das sieht man sie müssen nichts tun alles ist klar ihre frau kocht sie schreiben sie müssen nicht schreiben bei ihnen piept‘s wohl ich ruf‘ die polizei sie muss aus dem bad kommen und sich verziehen sie soll sofort verschwinden hopp hopp hopp machen sie das bett auf auf geben sie mir die schere schneiden sie den gürtel durch wenn ich hier los bin dann lernst du mich kennen wart‘ nur ab wenn ich komme renn‘ und hol‘ den schlafanzug nach hause gehen sie nach hause hab‘ ich gesagt aber dalli wo ist die fette kuh das ist freiheit alte kühe alice schnall den gürtel auf endlich du bist erfunden kommt wir gehen wo bist du kommt unter mir helft mir haben sie verstanden alle schweine sind gleich die haben alle was an der birne alice kann tun was sie will aber nicht bei mir schlagen sie mich sofort ich hau‘ ihnen eins über die rübe schnallen sie das bett auf sofort machen sie mich frei hab‘ ich ihnen gesagt hören sie mich wird‘s noch sind sie taub auf den ohren alice haallooo die alte kuh tritt dich gleich was denken sie wer sie sind pole polen müssen verschwinden ich ruf‘ die polizei die werden euch verscheuchen verschwindet die werden euch verscheuchen…“, auf einmal wird sie still, für einen Moment lang, Wissen Durst eilt herbei um zu sehen, ob alles in Ordnung ist, ob sie Luft bekommt und ihr Herz noch schlägt/, „…ich will schlafen die dumme kuh hat alle aufgeweckt machen sie die fenster auf lassen sie licht ins zimmer und gehen sie ich zähle bis zwei verschwinden sie oder ich mach‘ das bett kaputt geh’n sie sie werden nicht auf unsere kosten leben sie pole machen sie mir schnell den knopf auf ich will essen ich mach‘ euch alle ich begieß‘ euch mit dem grünen schlauch geht zu alice ihr arbeitet bei ihr geht weg von hier ihr habt‘ sie wohl nicht mehr alle ruft die polizei aber dalli andere wollen auch hierher andere weibsgesichter ihr müsst euch um sie kümmern habt ihr was zu sagen lasst sie rein kommen lasst sie sprechen auf polnisch alice kommt polizei hier ist ein pole ein einbrecher beeilt euch … bringt das kind weg elfriede kommt gleich ich zeige sie an wo ist ihre freundin sie schminkt sich schon ewig alle kommen hierher sie wollen geld von alice … sie sind krank sie haben parkinson wo ist meine tasche die schwester hat sie gestohlen das lasse ich nicht zu das müsst ihr wissen sie sind nicht klar im kopf haben sie überhaupt einen kopf die andere tasche hat ihre tochter geklaut viele verrückte zu viele niesen sie nicht nicht hier ein kind töten das ist das letzte das ist typisch dummer pole du stinkst ich ruf die polizei verschwinden sie oder sie stehen nicht mehr auf christine komm hier ist ein pole er hat ein kind getötet ruf‘ die polizei die sollen das untersuchen…“.

[1]

[2]

[3] Zitat aus „Das Buch der Unruhe“, S. 14  von F.P. alias Bernardo Soares

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